Über die Werke

Von wahrer Buße

Von wahrer Buße

Buße als geistige Selbstbefreiung

Zeitgenossen Böhmes, sowie Gläubige lange vor ihnen und nach ihnen, stellen sofort die Ohren hoch, wenn da jemand, der die Kirche nicht als moralische Leitinstanz zu benötigen scheint, von „wahrer“ Buße spricht. Ist die von der Kirche verordnete nicht mehr „wahr“? Weniges kennzeichnet die historische Ferne zwischen der Zeit Jacob Böhmes und uns besser, als die positive Besetzung des Begriffs Buße. Manche Titel aus Jacob Böhmes Gesamtwerk klingen für unsere Ohren in der Tat wenig attraktiv. Allzusehr verbinden wir mit ihnen fragwürdig gewordene Kulte oder Zeremonien, denen wir nicht mehr gewillt sind, uns ihnen auszusetzen, womöglich durch liebevolle Bevormundung theologisch geschulter Individuen. Von Freunden oder Bekannten gefragt, was man denn da gerade lese, erntet die Antwort, „Von wahrer Buße“, wohl in der Regel ein auf- oder abgeklärtes Lächeln, oder gar ein an unserem Verstand zweifelndes Stirnerunzeln. Kaum müssen wir mit solch skeptischen Reaktionen rechnen, würden wir antworten, man lese gerade ein Buch mit dem Titel „Aurora“, „Mysterium magnum“ oder das gelehrt klingende „De signatura rerum“, und erst recht nicht, wenn wir die Lektüre eines Büchleins über „wahre Gelassenheit“ verraten, welch letztes Stichwort in unserem Buchmarkt seit Jahren Konjunktur hat. „Buße“ aber, um es einmal zuzuspitzen, das klingt nach Inquisition, mönchischer Reue, nach schuldfühlender Beterei und allemal moralischer Gängelei und Bestrafung.

Nichts weniger will Böhmes Schrift. Das Wort von der „Buße“ müssen wir uns übersetzen. Böhme hilft uns dabei, indem er Buße nicht als verordnete religiöse Strafe formuliert, sondern als ein In-sich-Gehen, ein zu-uns-selbst-Kommen. Das Beiwort von der „wahren“ Buße im Titel deutet auf eine „falsche“, von der die Schrift sich abheben möchte. Aus der Titelei erfahren wir bereits Näheres: Die Formulierung: „wie sich der Mensch im Willen und Gemüthe in sich selber erwecken müsse“, legt diese innere Reinigung, wie „Buße“ hier übersetzt werden kann, als eine Eigenleistung des einzelnen Menschen nahe. Die falsche wäre demnach, unter fremder und autoritärer Anleitung zu büßen.

Dass es sich selbstverständlich um einen barocken religiösen Text handelt, muss uns nicht davon abbringen, in ihm eine gewisse Aktualität zu würdigen. Von „GOtt“ ist häufig die Rede, aber immmer nahe der Naturvokabeln, mit denen er seinen Gott erschreibt. „Buße“ in diesem Sinn versteht Böhme nicht als Maßregel gegenüber Kircheninstanzen, sondern eher eine Reue als Einsicht in die Negativtät der Welt, deren Einfluss jeder Mensch unterliegt. Ein bußfertiger Mensch „soll ihm auch gäntzlich einbilden die grosse Liebe GOttes, dass GOtt nicht den Tod des Sünders wolle, sondern will daß er sich bekehre und lebe.“ (1;15)

Diese kleinere Schrift, in der Ausgabe von 1730 gerade mal 42 Seiten kurz, ist Bestandteil der einzigen zu Böhmes Lebzeiten veröffentlichten Druckschrift mit dem Sammeltitel „Der Weg zu Christo“ (1624). Der Text ist vollkommen klar strukturiert: Zunächst geht Böhme in acht Punkten auf die Negativität der menschlichen Welt ein, sodann liefert er Bußgebete als Exempel zum Selbststudium, bei denen frappiert, dass diese Bußgebete, also „Beichten“, gänzlich ohne Pfarrer auskommen. In der Kirche werden Beichten „abgenommen“, von autorisierten theologischen Personen, in der katholischen Kirche noch heute, im Protestantismus in der Regel nicht mehr, im 17. Jahrhundert durchaus noch. Böhme, stets renitent gegenüber „Mauerkirchen“, betont bei seiner Mustervorlage, diese „Beichte mag ihm ein ieder nach seinem Anligen formieren und vermehren, wie ihn der H. Geist wird lehren“, nicht die Kirche, „ich will nur eine kurtze Anleitung geben.“ (1;19)

In der zweiten Hälfte der Schrift von der „wahren Buße“ ändert sich der Stil deutlich. Dies folgt einer literarisch geschickten Rhetorik, die sich am Gegenstand orientiert: Indem zunächst die Negativität in den genannten acht Punkten aufgezählt wird, wird sodann in den Musterbeichten das bisherige Leben beklagt, auf einer eher devoten Stilebene: „Ich armer, unwürdiger Mensch, komme abermal vor dich, O grosser, heiliger GOtt, und hebe ietzt meine Augen zu dir auf, ob ichs wohl nicht werth bin […]“ (1;30) In der Sehnsucht nach Jesus Christus, sodann, verwendet Jacob Böhme eine hocherotisierte Sprache, die ihn als einen manieristischen Lyriker zeigt, der performativ – er führt die Sprache ja im Rahmen seiner Musterbeichten wie im Rollenspiel vor! – wie auf einer Shakespeare-Bühne zu schmachten weiß:

„O du Leben meines Fleisches und der Seelen, in Christo meinem Bruder! Zu dir flehe ich in meiner Seelen Hunger, und bitte dich aus allen meinen Kräften, wiewol sie schwach sind, gib mir doch, was du mir in meinem Heilande Jesu Christo geschencket und versprochen hast […]. O tiefe Liebe in dem allersüssesten Namen Jesu! Ergib dich doch in meiner Seelen Begierde ein. […] Jetzt sperre ich meiner Seelen Gaumen gegen dir, o allerheiligste, süsseste Wahrheit, auf […].“ (1;30)

Diese erotisch aufgeladene Sprache würde sofort manifest sexuell wirken, ließe man im Satz „Jetzt sperre ich meiner Seele Gaumen gegen dir“ die Worte „meiner Seele“ weg, die einzig die sublimierende Metaphernebene sichert. Den Text durchzieht eine kalkulierte Erotisierung, die damit spielt, anzulocken und im richtigen Moment, bevor der Erotismus die Sätze aus der Kurve trägt, auf der Spur zu bleiben und den Sinn der Sätze zu vergeistigen. Daher erklärt sich auch Böhmes plötzlich zwischengeschobene …

„Warnung an den Leser. Wolmeinende will ich dir, lieber Leser, nicht bergen, was mir hierbey ernstlich gezeiget ist: Ist dir noch in der Eitelkeit des Fleisches wol, und bist nicht in ernstem Fürsatze, auf dem Wege zur neuen Wiedergeburt, in willens ein anderer Mensch zu werden, so laß die obgeschriebenen Worte in diesem Gebet ungenant, oder werden dir [recte: sie] in dir zum Gerichte GOttes werden: Du solst die heiligen Namen GOttes nicht mißbrauchen, sey treulich gewarnet, sie gebären der dürstigen Seelen; ist es ihr Ernst, sie wird’s erfahren was sie sind.“ (1;31)

 

 

Umfang: 41 Seiten, Sämtl. Schriften Band 4

Teil 2 (Eine kurtze andeutung …) überliefert in Böhmes eigener Handschrift (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel); Teil 1 und 2 überliefert in mehreren Abschriften. Zur Zeit beste Ausgaben: Jacob Böhme: Die Urschriften. Herausgegeben von Werner Buddecke. Zweiter Band. Stuttgart-Bad Cannstatt: Friedrich Frommann Verlag, 1966 [Teil 2], Jacob Böhme: Sämtliche Schriften. Herausgegeben von Will-Erich Peuckert/August Faust. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730. Vierter Band. Stuttgart: Friedrich Frommanns Verlag, 1957 [Teil 1].

Kontakt Partner Impressum Datenschutz Button - Nach oben scrollen